Leseprobe Teil 2 von 3: „Harko und der Kunstprofessor“

Georgos Katsatopoulos kannte den Stolz der Dorfbewohner auf die neue Straßenbeleuchtung. Er konnte auch ihren Ärger verstehen, wenn die Straße nun durch die Kunst des Professors verschandelt wurde. Doch was konnte er dagegen tun? Hilflos zuckte er die Schultern. „Was erwarten Sie von mir? Soll ich die Kunstwerke entfernen?“

„Wenn es sein muss,“ antwortete Vassilis Bardis.

„Das kann ich nicht,“ bekannte der Reviervorsteher offen und strich sich bedächtig über seinen mächtigen Schnauzbart. „Ohne Gerichtsbeschluss wäre das Sachbeschädigung.“

Vassilis Bardis schnaufte wütend und hieb zur Bekräftigung seiner Entschlossenheit mit der Faust auf den Tisch. „Wenn Sie nichts unternehmen wollen, muss ich mich eben an die Polizei in Korfu-Stadt wenden. Oder gleich nach Athen.“

Georgos zuckte zusammen, diese Drohung war ernst. Es war seine Welt hier im Norden Korfus, Einmischung von außen duldete er nur, wenn Spezialisten benötigt wurden. Bekamen seine Vorgesetzten in der Insel-Hauptstadt den Eindruck, er könne nicht einmal ein kleines lokales Problem lösen, warf das kein gutes Licht auf ihn.

„Ich kümmere mich darum,“ sagte er deshalb zum Ortsvorsteher von Afionas, „in ein paar Tagen sind die Objekte entfernt.“

„Das will ich hoffen,“sagte Vassilis Bardis und verabschiedete sich mit einem flüchtigen Gruß.

Georgos nippte an seinem Heleniko, stellte ihn aber sofort wieder auf den Tisch: Der griechische Mokka war kalt geworden. Georgos überlegte, ob er sich zuerst einen neuen kochen oder gleich mit dem Professor sprechen sollte. Er entschied sich für zweiteres – einen Heleniko musste man genießen und Georgos war nicht in der Stimmung dazu.

Missmutig setzte er sich in den Polizei-Jeep und fuhr nach Agios Georgios. Unberührte Natur, dachte er grimmig, als er wenig später die kleine Straße am Strand entlangfuhr, das Flair erhalten. Die Bucht selbst war ein Traum, weißer Strand, tiefblaues Wasser. Doch am Ufer stand eine Taverne an der anderen, unterbrochen nur von Supermärkten und Appartementhäusern, viele Bauten schwarz errichtet oder zumindest schwarz erweitert. Wer hierher kam, wollte sich erholen, suchte Ruhe, gutes Essen und freundliche Menschen. Genau das fanden die Urlauber in Agios Georgios und Afionas. Aber Flair?

Georgos Katsatopoulos fuhr die ganze Bucht entlang, bis kurz vor ihrem westlichen Ende die kleine Straße nach Afionas abzweigte. Er hielt an und stieg aus, um sich das erste – und laut Vassilis Bardis einzige genehmigte – Kunstwerk zu betrachten.

Mitten aus dem Sand, nur wenige Meter vom Meer entfernt, ragte ein mächtiger Olivenstamm in die Höhe. Hätte er noch Äste und Blätter, dachte Georgos, würde er sich in nichts von den Millionen anderen Olivenbäumen unterscheiden, die Korfu ganzjährig mit ihrem Grün überzogen. Und läge der Stamm auf der Seite, wäre er schlicht Brennholz. Immerhin wurde das aufgerichtete Brennholz von einem Stahlreif geziert. Das war Kunst? Georgos Katsatopoulos schüttelte verständnislos den Kopf.

Er ging zurück zu seinem Wagen, fuhr langsam den Hügel hinauf. Es war genau so, wie Vassilis beschrieben hatte: Am linken Straßenrand stand alle 50 Meter eine Straßenlaterne, akkurat in der Mitte zwischen den Laternen jeweils ein Kunstwerk. Jedes Stück bestand aus Holz und Stahl, Fundstücke aus den Olivenwäldern der Insel, vom Strand und von Schrottplätzen aus halb Europa, vom Künstler zu eigenwilligen Kreationen zusammengefügt.

Georgos fuhr den halben Hügel hinauf, dann hielt er erneut an und stieg aus. Zunächst neben dem Wagen stehend, ließ er seinen Blick über die Kunstobjekte schweifen. Schön war keines davon, zumindest nicht nach den Maßstäben, die Georgos an Kunst anlegte. Die Vollkommenheit des Parthenon, das Ebenmaß antiker Statuen – Georgos konnte in den Werken des Professors nichts vergleichbares erkennen.

Und doch: Das war nicht einfach Müll. Das Monument, das ihm am nächsten stand, war wie das erste am Strand aus Holz und Stahl gefertigt, doch beide Materialien waren nun gleichwertig genutzt. Das Holz, wieder ein alter Olivenstamm, wies deutliche Spuren von Bearbeitung auf. Georgos legte den Kopf zur Seite, ging einige Schritte nach links, dann nach rechts, musterte das Objekt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Ihm schien, als könne er eine Figur darin erkennen: Die Andeutung eines Kopfes, das Mittelstück vielleicht ein Körper, ein Spalt am unteren Ende mochte Füße darstellen. Sollten gar die an der Seite befestigten Edelstahltrümmer Arme symbolisieren?

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