Leseprobe Teil 1 von 3: „Harko und der Kunstprofessor“

Georgos Katsatopoulos, der Reviervorsteher der kleinen Polizeistation in Karousades, hatte schlechte Laune. Sogar so schlechte Laune, dass er den vor ihm stehenden Heleniko, den starken, schwarzen griechischen Kaffee, den er von morgens bis abends trank, noch nicht einmal angerührt hatte. Der Grund für Georgos Mißstimmung war Vassilis Bardis, der Ortsvorsteher von Afionas, der gerade seinem Ärger Luft machte. Und Vassilis war in dieser Woche bereits der fünfte.

„Bekniet hat er mich, zwei Monate lang hat er buchstäblich gebettelt, bis ich nachgegeben habe. Was ist schon dabei, habe ich mir gedacht. Und ihm auch noch den Traktor der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Ein Kunstwerk, hat er gesagt, ein einziges. Ausnahmsweise sogar eines, das gefällt. Wir haben noch gemeinsam den Standort ausgesucht: Unten am Strand von Agios Georgios, an einer Stelle, an der es auffällt, aber nicht stört. Doch was macht er? Während ich zu wichtigen Besprechungen in Athen bin, verunstaltet er die ganze Straße mit seinem Müll, von seinem Haus bis zum Strand. Jetzt behauptet er steif und fest, erst alles zusammen sei ein Kunstwerk und ich habe die Aufstellung genehmigt. Sie müssen ihn zur Vernunft bringen, er muss dieses schreckliche Zeug wieder entfernen.“

Er, das war Professor Xaver Hintermooser, bis vor fünf Jahren ordentlicher Professor in München und seitdem engagierter, bislang jedoch regelmäßig missverstandener freischaffender Künstler, außerdem Einwohner von Afionas, einem kleinen Ort an der Nordwestküste Korfus. Und das schreckliche Zeug, über das sich neben Vassilis Bardis auch die anderen Einwohner von Afionas aufregten, war das, was Professor Hintermooser als Kunst bezeichnete.

Seine Liebe galt in erster Linie dem Edelstahl. Bereits ein Stück eigenwillig verbogenen rostfreien Stahls, das er auf einem Schrottplatz fand, schien ihm wert, der Nachwelt als von ihm entdecktes Kunstobjekt erhalten zu bleiben. In zweiter Linie galt seine Liebe dem Holz; regelmäßig suchte der Professor am Strand nach Treibholz. Ein von den Wellen geschliffenes und von der Sonne gebleichtes Stück Olivenholz konnte ihn zu stundenlangen kontemplativen Versenkungen anregen. Treibholz in Verbindung mit einem Edelstahlrest war für ihn die perfekte Symbiose aus Natur und Zivilisation, gleichermaßen dazu geeignet, den Betrachter in ehrfürchtiges Staunen zu versetzen wie ihn durch Provokation zum Nachdenken zu zwingen.

Als Intellektueller, der sich niemals in die profanen Niederungen der kommerziellen Verwertung seiner Kunstobjekte begeben hätte, konnte der Professor nur wenige Werke verkaufen. Sein großes Grundstück, anfangs nur mit wenigen, ausgesuchten Objekten dekoriert, glich inzwischen mehr und mehr einem Warenlager für Edelstahlschrott und Feuerholz. So war der Professor, ob aus Überzeugung oder der schlichten Notwendigkeit heraus, Platz zu schaffen, auf die Idee gekommen, eines seiner Kunstwerke der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Was in diesem Fall hieß: Den Bewohnern von Afionas und den Touristen, die in der Bucht von Agios Georgios Urlaub machten.

Das Problem mit den Werken des Professors war: Seine Kunst war nicht wirklich schlecht. Ganz im Gegenteil – einige seiner Plastiken strahlten etwas Faszinierendes aus. Doch diese Werke entstanden, genau wusste das niemand, entweder aus Versehen oder in einer schwachen Stunde des Professors. Denn eine seiner Lieblingsmaximen lautete: Kunst muss provozieren.

Was sie denn auch tat. Diesmal jedoch war der Professor einen Schritt zu weit gegangen. Er hatte die ganze Straße von seinem Haus bis zur Bucht von Agios Georgios zu einem Kunstwerk umgewandelt. Oder, wie die Bewohner von Afionas fanden, er hatte unerlaubt seinen Müll auf der Straße abgeladen.

„Die Touristen, die zu uns in die Bucht kommen,“ sagte Vassilis Bardis, ein im allgemeinen ruhiger Mann Anfang 60, „die kommen wegen der unberührten Natur. Und dem Flair, den wir ihnen in Afionas und in Agios Georgios bieten. Erst vor einem Jahr haben wir viel Geld ausgegeben, um den Weg von Afionas nach Agios Georgios mit Straßenlaternen zu beleuchten. Doch was sehen die Touristen jetzt am Abend? Scheußliche Monstrositäten. Sie müssen etwas dagegen unternehmen.“

Die Bucht von Agios Georgios, im Nordwesten von Korfu gelegen, lockte mit zwei Kilometern weißem Sandstrand und kristallklarem Wasser im Sommer viele Touristen an. Im Osten und Westen von zwei mächtigen Felsen begrenzt, war sie ein Paradies für Segler und Windsurfer. Auf dem westlichen Felsen lag Afionas, ein kleines, trotz der sommerlichen Touristenströme noch immer verträumtes Dorf. Die Straße, die Professor Xaver Hintermooser für seine Kunstausstellung gewählt hatte, war die Verbindung zwischen Afionas und dem Strand, eine kleine, gewundene Straße, die das Pech hatte, direkt am Haus des Professors vorbeizuführen.

weiter mit der Leseprobe