Leseprobe Teil 1 von 1: „Harko und der tote Trucker“

Schon von weitem hörten wir Bulldozer-Nicks kräftige Stimme aus der Bar.
„Du Idiot! Warum hast Du das getan? Vollkommen grundlos?“

Ein Mann, ein Türke, schien sich zu verteidigen, wir verstanden zwar kein Wort, doch seine Stimme sprach Bände – aus ihr sprach das schlechte Gewissen.

Also doch, dachte ich, Harko hatte recht gehabt, eine Auseinandersetzung zwischen griechischen und türkischen Truckern. Und Bulldozer-Nick hatte den Fall gelöst.

Wir rannten die letzten Meter. In der rauchgeschwängerten Luft sahen wir, wie sich Türken und Griechen um einen Tisch drängelten, in hitzigen Diskussionen machten sie ihrem Ärger Luft. Wir drängten uns dazwischen.

Bulldozer-Nick saß mit vor Wut und Anspannung gerötetem Gesicht am Tisch, daneben ein türkischer Trucker, ebenfalls mit rotem Kopf, aber wohl aus Scham. Zwei andere Männer, ein Grieche und ein zweiter Türke, saßen mit am Tisch, in der Mitte neben diversen Bierflaschen ein paar Münzen. Sogar ziemlich viele Münzen.

In diesem Moment klopfte Bulldozer-Nick kräftig auf den Tisch. „Pik ist Trumpf, Du Idiot, wie kannst Du da die Pik-Dame ausspielen? Hast Du denn gar nichts im Hirn? Wegen Dir habe ich jetzt drei Euro verloren!“

„Was ist denn hier los?“ fragte Konstantinos mit lauter Stimme.

„Der Depp kann einfach nicht Karten spielen,“ sagte Bulldozer-Nick wütend.

In diesem Moment sagte der Türke etwas zu seinem Landsmann, schnell und gepresst. Der zweite Türke übersetzte, wenn auch gebrochen.

„Du Dich nicht aufregen, sagt Mustafa, er Dir zahlen ein Bier und alles wieder gut.“

„Pah,“ sagte Bulldozer-Nick abfällig, „die nächste Runde geht auf mich.“ Er winkte dem Ober und bestellte vier Bier, dann spielten sie weiter.

„Und was machen wir jetzt?“ Konstantinos schien ratlos. „Denn das mit den Truckern ist ja wohl eine falsche Fährte.“

„Warum suchst Du nicht Harko und Georgos und versuchst sie davon zu überzeugen, daß der Mörder in seiner Kabine sitzt und nur auf seine Verhaftung wartet?“

Ich glaubte, in Daphnis Worten eine Spur von Sarkasmus zu vernehmen, hielt mich aber wohlweislich zurück.

„Wo stecken Harko und Georgos überhaupt?“

Daphni machte eine Handbewegung Richtung Bug. „Irgendwo hier auf diesem Schiff. Vermutlich ganz in der Nähe des Mörders.“

Konstantinos sah erst verunsichert aus, dann brummte er: „An unserer Kommunikation müssen wir noch arbeiten.“ Er holte sein Mobiltelefon heraus und versuchte, Harko anzurufen. Doch dessen Telefon ging nicht, Konstantinos bekam nur die Meldung, der Teilnehmer sei vorübergehend nicht erreichbar, er könne jedoch eine Nachricht hinterlassen. Ob der deftige Fluch, den er nun losließ, als Nachricht aufgezeichnet wurde, weiß ich nicht, jedenfalls steckte Konstantinos, nachdem er seinem Ärger Luft gemacht hatte, sein Mobiltelefon wieder weg.

„Sind wir hier auf Mörderjagd oder auf einer Vergnügungsfahrt?“ fragte ich nicht zum erstenmal. „Mir ist nach einem Kaffee und in zwei Stunden sehen wir die Anderen ohnehin beim Mittagessen.“

In die Kabine wollte Daphni nicht zurück, ihr fehle die rechte Stimmung dazu, sagte sie, und so setzte ich mich mit ihr außerhalb der Bar in den Flur. Bei vielen Überfahrten war dies mein Lieblingsplatz: Drei Tische mit fest am Boden verschraubten Sesseln, direkt vor den Tischen große Panoramafenster, durch die man einen schönen Ausblick auf das Meer hatte, und vor allem im Winter vor dem schneidenden Wind geschützt war, auf der anderen Seite die kleine  Einkaufspassage, die aber erst gegen Abend zum Leben erwachen würde. Die Bar war zwar in unmittelbarer Nähe, dennoch war dieser Teil eine Oase der Ruhe.

Konstantinos setzte sich zu uns, war aber viel zu unruhig, um die Ruhe genießen zu können; als aus der Bar wieder einmal die kräftige Stimme von Bulldozer-Nick zu hören war, die seinen türkischen Mitspieler beschimpfte, zog es Konstantinos in die provisorische Spielhölle. Daphni und ich nutzten die Gunst der Stunde und knutschten wie zwei verliebte Teenager. Langsam fing die Kreuzfahrt an, Spaß zu machen.

„Du, es ist auf einmal so ruhig!“

Das ist etwas, was ich wohl nie begreifen werde. Für mich versank die Welt unter unseren Küssen, ich sah und hörte nichts mehr, spürte nur noch Daphnis Lippen. Auch Daphni war voll bei der Sache, und doch waren ihre Sinne auch für andere Eindrücke empfänglich – als hätte sie ein Radar, das ständig über ihrem Kopf kreiste. Frauen sind eben doch multitaskingfähig, auch wenn wir Männer das ungern wahrhaben wollen.

Es kostete mich viel Kraft, mich von Daphni zu lösen und mein eigenes Radar einzuschalten, dann hörte ich es auch. Das heißt, ich hörte nichts: Es war mucksmäuschenstill. Jedenfalls kamen aus der Bar keine Geräusche mehr, nur das leise Brummen des Schiffsdiesels war zu vernehmen.

Plötzlich ertönte ein überraschter Schrei. Daphni schoß hoch, rannte zur Bar, ich folgte ihr. Im Türrahmen holte ich sie ein, sie war stehengeblieben und starrte auf eine Szene, die sich nur wenig von dem unterschied, was wir zuvor gesehen hatten, und die doch völlig anders war.

Die Luft war noch verräucherter als zuvor, Bulldozer-Nick und Manousos saßen noch immer mit zwei Türken am Tisch, alle anderen Gäste der Bar standen um sie herum. Doch jetzt war nicht mehr Nick im Zentrum, die Aufmerksamkeit galt Manousos: Er zeigte einige seiner Kartentricks.

Ein Türke zog gerade eine Karte aus dem Kartenstapel heraus, den ihm Manousos hinhielt, zeigt die Karte seinem Nebenmann, und steckte sie in den Stapel zurück. Manousos mischte die Karten, klopfte den Stapel demonstrativ so glatt, daß keine Karte heraussah, hielt den ganzen Stapel unter den Tisch, setzte eine konzentrierte Miene auf, fluchte einmal hingebungsvoll – und legte denn eine Karte offen auf den Tisch: Herz sieben. Dem überraschten Aufschrei der Türken nach war es die richtige Karte.

„Wie macht er das?“ flüsterte Daphni leise.

„Das verrät er nicht,“ sagte ich ebenso leise zurück. „Das ist sein bester Trick. Aber er hat noch einige andere gute auf Lager.“

Wie ich sehen konnte, bereitete Manousos jetzt seinen zweitbesten Trick vor. Mit schnellen Bewegungen legte er 12 Karten mit der Werteseite nach oben auf den Tisch. Und erklärte dann: „Ich drehe mich jetzt um. Einer von euch tippt auf eine Karte und ich finde diese Karte dann heraus.“

Demonstrativ drehte er sich um, der Türke, der etwas griechisch konnte, erklärte seinen Landsleuten, was Manousos nun vorhatte und ein Türke, der am Tisch stand, tippte blitzschnell auf eine Karte.

Bulldozer-Nick, der den Trick schon kannte und sich zu langweilen schien, lehnte sich zurück, zündete sich eine Zigarette an und harrte genüßlich paffend der Dinge, die nun kommen würden.

Manousos wandte sich wieder dem Tisch zu, schloß die Augen, um sich zu konzentrieren, öffnete sie wieder und ließ dann seine Finger der Reihe nach über die Karten gleiten. Vorsichtig befühlte er die Oberfläche, nahm gelegentlich prüfend eine Karte in die Hand, tastete ihre Oberfläche ab, legte die Karte zurück. Es war still in der Bar, so still, daß man die berühmte Stecknadel hätte zu Boden fallen hören und es blieb auch still, als Manousos die Karte berührte, die der Türke berührt hatte. Auch als Manousos Finger die nächste Karte befühlte, blieb es still. Erst als er scheinbar unsicher wurde, zur richtigen Karte zurückging und sagte, die ist es – da wurde es laut: Alle Anwesenden schnaubten hörbar nach Luft – und schnatterten dann aufgeregt auf türkisch und griechisch durcheinander.

Ein Ungläubiger forderte Manousos auf, den Trick zu wiederholen, denn es sei sicher nur Zufall gewesen. Ein Grieche hielt Manousos sogar die Ohren zu, damit der das Antippen nicht hören konnte, er fand trotzdem die richtige Karte.

„Kann er die Wärme der Finger fühlen?“ flüsterte Daphni, gleichermaßen erstaunt wie beeindruckt.

So leise, daß nur sie es hören konnte, flüsterte ich ihr ins Ohr: „Achte nicht auf Manousos, achte auf Nick.“

Manousos führte den Trick zum drittenmal vor. Nick saß noch immer gelangweilt mit seiner Zigarette da, sah genauso gelangweilt zu, wie Manousos Finger über die Karten glitten. Erst als der Finger über der richtigen Karte war, zog Bulldozer-Nick an seiner Zigarette. Manousos Finger glitt zunächst weiter, kehrte zurück und „fand“ zum drittenmal die richtige Karte.

„Das ist ja nur ein Trick,“ schnaufte Daphni enttäuscht, „und dazu noch ein ganz einfacher.“

„Es sind alles nur Tricks,“ erwiderte ich, „und die einfachsten sind oft die besten.“

Wir sahen Manousos zu, bis der Schiffslautsprecher zum Mittagessen rief.